blog: Entwicklerwissen

Ich hatte neulich eine Unterhaltung über Computernutzung, genauer: Dass es meist möglich ist, mit Strg+F schnell Textpassagen zu finden. Mir wurde gesagt, das wäre Entwicklerwissen. Da mir ähnliche Äußerungen zu - so dachte ich - Selbstverständlichem in letzter Zeit öfter begegnen, lohnt es sich vielleicht, einmal ein paar Grundsätzlichkeiten aufzuschreiben:

  1. Der Computer ist dazu da, deine Arbeit schnell zu erledigen, diese zu erleichtern oder Kunst zu schaffen. Fühlt sich etwas komisch an, ist kompliziert oder lahm, liegt der Fehler im Bau des Systems. Manche Probleme sind inhärent komplex - viele Probleme werden durch mangelndes Verständnis schlecht gelöst. Hast du durch ein Computersystem mehr Arbeit als ohne, läuft etwas grundsätzlich falsch, außer du hast Spaß an dieser Arbeit. Du kontrollierst das Computersystem, nicht umgekehrt.

  2. Es macht Sinn, sich mit dem Werkzeug zu befassen, das du nutzt, und Alternativen zu suchen. Ein Werkzeug beeinflusst deine Denkweise.

  3. Computersysteme, Programme und Apps sind weder gottgegeben noch Magie. Menschen haben sie gebaut. Sie sind durch andere Menschen veränder- oder mindestens pervertierbar. Sie enthalten Denkfehler. Die eigentliche Programmierung ist meist sehr stumpf. Unlesbarkeit liegt oft an schlechten Werkzeugen.

  4. Alles, was meine Arbeit mit dem System verlangsamt, ist schlecht. Adblocker sind das Erste, was jeder Techie installiert. Als zweites wird jede Form der Telemetrie deaktiviert. Als drittes die Animationen, Popups und alles ohne Funktion.

  5. Der aktuelle Hype um künstliche Intelligenz ist die dritte Welle dessen, was damals schon bei den LISP-Leuten um John McCarthy nicht sonderlich intelligent war.

  6. Anzugträger alleine können nicht wissen, was Anwender brauchen.

  7. Nerds alleine können nicht wissen, was Anwender brauchen.

  8. Telemetrie kann nicht wissen, was Anwender brauchen.

  9. Anwender wissen auch nicht, was Anwender brauchen, wenn grundsätzliche Konzepte unbekannt sind.

  10. Was gebraucht wird, kann erst durch Wissensaustausch und Erfahrung ermittelt werden. Das findet selten statt, weil es Zeit, Geld und Nerven kostet.

  11. Es gibt Kultur, Subkulturen und Folklore in der Techiewelt. Wir sind keine “Computerfreaks”. Ein Humanmediziner ist auch kein Körperfreak. Bezeichnest du Techies als Freaks, musst du damit rechnen, als Kulturverächter gesehen zu werden.

  12. Vorschlagsalgorithmen schränken ein. Sie liefern mehr vom Gleichen und dienen im Effekt - selbst wenn die Intention eine andere war - der Aufmerksamkeitsbindung. Sie verhindern eine Erweiterung der Perspektive. Daher meidet man sie, wo es möglich ist. Neuheiten erfährt man über Freunde, Bekannte oder eigene Suche, nicht über automatische Vorschläge.

  13. Aus konzeptueller Sicht gibt es sehr viel bessere Systeme zum vernetzten Wissensaustausch als das World Wide Web. Aber Wissensaustausch und Vermarktbarkeit sind unterschiedliche Dinge. Vermarktbarkeit bedeutet aber gleichzeitig auch Sichtbarkeit.

  14. Onlinerezensionen sind selten wertvoll.

  15. Jobbörsen sind für Techies selten wertvoll, weil Personaler den Inhalt der Profile nicht lesen oder verstehen. “Irgendwas mit Computern” ist in etwa so sinnvoll wie “irgendwas mit Menschen”.

  16. Permanente Erreichbarkeit ist kein Feature, sondern ein Bug. Dadurch werden Rückzugs- und Reflexionsmöglichkeiten genommen.

  17. Irgendwann gelangt jeder gewissenhafte Techie zu der Einsicht, dass Technologie den Bias ihrer Schaffer transportiert.

  18. Nicht jeder Techie hat einen funktionierenden moralischen Kompass.

  19. Die Garagenfirma ist eine nette Erzählung. Vielleicht dient sie manchem als inspirierende Story. Aber sehr viel ist da leider nicht hinter.

Posted in blab
2023-02-03 18:19 UTC