blog: Grundübel

Georg Schramm bezeichnete einst die Habgier als das Grundübel unserer Zeit. Ich glaube das nicht. Ich glaube, bei der Habgier handelt es sich nur um ein Symptom eines tieferliegenden Problems: Selbstverliebtheit bei gleichzeitig mangelndem Selbstbewusstsein im eigentlichen Sinne, also dem Bewusstsein über die eigenen Stärken wie Schwächen. Wir nehmen uns selbst zu wichtig.

Daraus folgt Kurzsichtigkeit. Unter anderem in Form der Habgier, Bequemlichkeit, dem Vermeiden von temporärer Selbstaufopferung, eines kindlich-kindischen Verständnisses von Individualität, der Verachtung fremder Kulturen, der mangelnden Rücksicht, eines Lager- statt Sachdenkens. Aber auch in Form des ständigen Helfersyndroms, der Prinzipienreiterei, der Verachtung der eigenen Kultur als vermeintliches Zeichen der Tugend, der Harmoniesucht.

Wie ändert man das? Indem man sich mit intelligenten Menschen umgibt, die einen eigenen Charakter mitbringen und einem nicht nur nach dem Mund reden, sondern regelmäßig fordern und fördern. Was man früher mal Freunde nannte. Durch Akzeptanz von sachdienlichem (!) und temporärem Konflikt, ohne sofort zu fliehen und zu meiden. Durch Humor und Streiche. Und - nach Aufbau einer ausreichenden Wissensbasis - durch Sammeln von Erfahrungen, indem man regelmäßig an der Realität scheitert. Nicht in einem Maße, von dem man sich nicht mehr erholen kann - aber auch nicht konsequenzenlos. Knowledge with mileage.

Korollar

Für sachdienlichen Konflikt bedarf es entweder einer massiven Beschränkung des teilnehmenden Personenkreises oder einer starken Moderation, um keine der Seiten unerholbar zu plätten. Soziale Medien in ihrer derzeitigen Form sind dazu nicht geeignet.

Posted in blab
2023-01-18 20:43 UTC